Die Verjährung von Urlaubsansprüchen: nach drei Jahren oder erst wenn Arbeitgeber:innen die Aufforderungs- und Hinweispflichten erfüllt haben?
Urlaubsansprüche, Verjährung, Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten
Das Bundesurlaubsgesetz (BurlG) regelt den Mindesturlaub für Arbeitnehmer:innen in Deutschland, der gemäß § 3 BUrlG 24 Werktage bei einer 6-Tage-Woche beträgt. Dieser Urlaub ist gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG im laufenden Kalenderjahr von Arbeitgeber:innen zu gewähren und von Arbeitnehmer:innen zu nehmen, wobei der Urlaub ausnahmsweise bis in den März des darauffolgenden Kalenderjahres genommen werden kann. Wurde der Urlaub nicht in dieser Zeit beantragt, verfällt der Urlaubsanspruch der Arbeitnehmer:innen grundsätzlich.
Automatischer Verfall europarechtswidrig
Im Jahr 2018 hat der EuGH allerdings in zwei Urteilen (Urt. v. 6.11.2018 – Rs. C-684/16, C-619/16) entschieden, dass dieser grundsätzliche automatische Verfall nicht genommener Urlaubsansprüche zum Jahresende europarechtswidrig sei, da er gegen Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG (Arbeitszeitrichtlinie) und Art. 53 der EU-Grundrechtecharta verstoße. Arbeitgeber:innen seien angehalten konkret und in völliger Transparenz dafür zu sorgen, dass Arbeitnehmer:innen tatsächlich in der Lage seien, ihren bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, indem sie sie – erforderlichenfalls förmlich – auffordern, dies zu tun. Arbeitgeber:innen müssten dabei sicherstellen, dass diese Aufforderung klar und rechtzeitig mitteile, dass der Urlaub, wenn er nicht genommen werde, am Ende des Bezugszeitraums oder eines zulässigen Übertragungszeitraums verfalle. Erfolge eine solche Aufforderung samt Belehrung innerhalb dieses Zeitraums nicht, sei das Erlöschen des Urlaubsanspruchs ausgeschlossen. Die Beweislast sei von den Arbeitgeber:innen zu tragen.
Richtlinienkonformen Auslegung des § 7 BUrlG
Das Bundesarbeitsgericht (BAG), das in der Rechtssache C-684/16 dem EuGH vorgelegt hatte, schloss sich der Rechtsprechung des EuGH an und verwies den Fall zurück an die Vorinstanz. Dem BAG zufolge kann bei einer richtlinienkonformen Auslegung des § 7 BUrlG der Anspruch von Arbeitnehmer:innen auf bezahlten Jahresurlaub in der Regel nur dann am Ende des Kalenderjahres verfallen, wenn Arbeitgeber:innen die Arbeitnehmer:innen zuvor konkret aufgefordert haben, den Urlaub zu nehmen, und sie klar und rechtzeitig darauf hingewiesen haben, dass der Urlaub anderenfalls mit Ablauf des Urlaubsjahres oder Übertragungszeitraums erlischt.
Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten
Offen ist bisher jedoch nach diesen Entscheidungen, welche Konsequenzen entstehen, wenn Arbeitgeber:innen ihren Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten nicht genügen. Insbesondere stellt sich die Frage, wann der Urlaubsanspruch von Arbeitnehmer:innen und der damit korrelierende Anspruch auf finanzielle Vergütung für bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub verfällt. Im deutschen Recht beträgt die regelmäßige Verjährungsfrist gemäß §§ 195, 199 Abs. 1 BGB drei Jahre. Es bleibt aber unklar, ob und mit welchem Verjährungsbeginn diese Verjährungsfrist auf Urlaubsansprüche anwendbar und europarechtskonform ist. Nun hat das BAG aus diesen Gründen im Jahr 2020 erneut dem EuGH vorgelegt, diesmal bezüglich der Verjährung von Urlaubsansprüchen (BAG, Vorlagebeschl. v. 29.9.2020 – 9 AZR 266/20).
Beginn der Verjährungsfrist
Am 5.5.2022 wurden die Schlussanträge des EU-Generalstaatsanwalts Jean Richard de la Tour veröffentlicht. Dieser ist der Ansicht, dass eine drei-jährige-Verjährungsfrist grundsätzlich angemessen und mit dem Effektivitätsgrundsatz vereinbar ist. Allerdings beginne die Verjährungsfrist erst zu laufen, wenn Arbeitgeber:innen ihren Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten nachgekommen seien, und damit ihre Arbeitnehmer:innen in die Lage versetzt hätten, ihren Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub wahrzunehmen.
Dies würde bedeuten, dass beispielsweise Arbeitnehmer:innen nicht wahrgenommene Urlaubstage aus dem Jahr 2015 im Jahr 2022 oder eine dafür entsprechende finanzielle Vergütung gegenüber ihren Arbeitgeber:innen geltend machen könnten, wenn diese ihre Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten nicht erfüllt haben.
Der EuGH wird sich voraussichtlich noch dieses Jahr in der Rechtssache äußern. Würden die Richter des EuGH dem EU-Generalstaatsanwalt Folge leisten, was sie in der Mehrheit der Fälle tun, könnte dies bemerkenswerte Auswirkungen auf das deutsche Arbeitsrecht haben.
Unabhängig davon, wie die Entscheidung des EuGH ausfallen wird, ist Arbeitgeber:innen dringend zu raten die bereits geltenden Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten gegenüber ihren Arbeitnehmer:innen zu erfüllen.
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