Verfahren auf Englisch in Deutschland: BJM will Commercial Courts einführen

Commercial Courts, internationale Streitigkeiten vor Gericht

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Bereits seit Jahren beklagt die Justiz die Abwanderung großer Unternehmen an ausländische Handels- oder Schiedsgerichte, um dort Verfahren einfacher und in englischer Sprache führen zu können.

Das will das Bundesjustizministerium von Marco Buschmann (FDP) nun ändern: in einem Eckpunktepapier aus dem Januar 2023 stellt das Ministerium seine Pläne vor, den „Justiz- und Wirtschaftsstandort Deutschland“ zu stärken und in eigens eingerichteten Wirtschaftssenaten (sogenannten Commercial Courts) Gerichtsverfahren in englischer Sprache zu ermöglichen. Bisher ist dies nur eingeschränkt möglich. Woran es bisher fehlt, welche Neuerungen jetzt umgesetzt werden könnten und ob diese Änderungen wirklich notwendig sind, beleuchten wir für Sie in diesem Artikel.

Sie haben Fragen zu internationalen Streitigkeiten oder benötigen rechtliche Unterstützung in einer anderen Sprache? Wir kennen nicht nur die deutsche Gerichtsbarkeit, sondern verhandeln auch auf englischer sowie polnischer Sprache. Sprechen Sie uns jederzeit für ein anwaltliches Beratungsgespräch an.

Commercial Courts: Worum geht es konkret?

Durch die fortschreitende Globalisierung spielen auch Streitigkeiten rund um globale Lieferketten und internationalen Warenverkehr eine immer wichtigere Rolle. Daher kommt es auch vermehrt zu transnationalen Streitigkeiten, die vor Gericht ausgefochten werden sollen.

Unternehmen mit internationalen Handelsbeziehungen sind darauf angewiesen, solche Verfahren schnell zu klären, um nicht an Wirtschaftlichkeit einzubüßen.

Nach Ansicht des Bundesjustizministeriums bietet Deutschland für solche Fälle zu wenige zeitgemäße Möglichkeiten an. Das führt womöglich dazu, dass Unternehmen ins Ausland oder vor private Schiedsgerichte abwandern, statt die deutschen Gerichte zu nutzen.

Das soll sich nun ändern:

- Handelsstreitigkeiten sollen vollständig in englischer Sprache geführt werden können. Das „attraktive Gesamtpaket“ der Commercial Courts soll großen Handels- und Schiedsgerichten Konkurrenz machen.

- Von den neuen Regelungen sollen insbesondere Exporteure:innen und Wirtschaftsunternehmen profitieren. Ziel ist es, sie davon zu überzeugen, ihre Rechtsstreitigkeiten zukünftig vor staatlichen Gerichten in Deutschland zu führen.

- Das Prozedere soll daher nicht nur die Justiz stärken, sondern auch dem Wirtschaftsstandort Deutschland zu mehr Profil und Attraktivität verhelfen.

Woran ist dies bisher gescheitert?

Aktuell ist eine Prozessführung teilweise in englischer Sprache möglich. Die Nachfrage jedoch ist mäßig. Das könnte zum einen daran liegen, dass Schriftsätze immer noch auf Deutsch verfasst werden müssen und auch die gerichtlichen Entscheidungen weiterhin auf Deutsch ergehen. Oder an den fehlenden Englischkenntnissen der Beteiligten, die notwendig wären, um bei einer englischsprachigen Verhandlung erfolgreich teilnehmen zu können.

Die Möglichkeit, ein internationales Wirtschaftsverfahren vor einem deutschen Gericht durchzuführen, ist aktuell beschränkt. Das liegt nicht zuletzt an der Sprache: Derzeit ist es zwar zulässig, auch ohne Dolmetscher:in auf Englisch zu verhandeln, wenn alle Beteiligten damit einverstanden sind. Alle schriftlichen Dokumente, wie die Klageschrift, werden jedoch weiterhin auf Deutsch verfasst, die Parteien haben auch keinen Anspruch darauf, englische Urkunden einzureichen. Und auch die gerichtlichen Entscheidungen ergehen weiterhin auf Deutsch.

Außerdem werden Geschäftsgeheimnisse bislang nicht ausreichend geschützt. Zwar kann die Öffentlichkeit für einen Teil der Verhandlung ausgeschlossen werden, wenn es um sensible Informationen geht, zukünftig soll aber bereits ab Erhebung der Klage darauf geachtet werden, dass Betriebsgeheimnisse auch geheim bleiben.

Insgesamt führen die genannten Punkte dazu, dass Wirtschaftsstreitigkeiten in vielen Fällen im Ausland verhandelt werden oder die Parteien ein privates Schiedsgericht wählen. Gegensteuern kann da auch nicht die fachliche Spezialisierung auf Handelssachen, die es hierzulande bereits seit Jahren gibt (sogenannte Kammern für Handelssachen).

Es muss also ein grundlegendes Umdenken stattfinden – und ein rechtlicher Rahmen für internationale Wirtschaftsstreitigkeiten geschaffen werden.

Commercial Courts: Mit diesen Änderungen können Unternehmer:innen rechnen

 Bereits im Koalitionsvertrag hatte dieAmpelkoalition beschlossen, in der Justiz verstärkt auf Globalisierung und Modernisierung zu setzen. So heißt es auf Seite 106:

„Wir ermöglichen englischsprachige Spezialkammern für internationale Handels- undWirtschaftsstreitigkeiten

Wir haben die wichtigsten Neuerungen und geplantenMaßnahmen aus dem Eckpunkte-Papier einmal zusammengefasst:

Englische Verfahren vor den Landgerichten

Die Bundesländer sollen die Möglichkeit erhalten, Regelungen zu erlassen, nach denen Handelsstreitigkeiten vor den Landgerichten umfassend in englischer Sprache durchgeführt werden können. Sämtliche Schriftsätze und die gerichtliche Entscheidung ergehen ebenfalls in Englisch.

Voraussetzung ist lediglich, dass die Parteien einen sachlichen Grund für die Verfahrenssprache Englisch vorbringen. Auch gemeinsame englischsprachige Kammern mehrerer Bundesländer sind denkbar. Der Instanzenzug soll dabei unverändert bleiben, so dass grundsätzlich auch die folgenden Instanzen auf Englisch verhandeln können.

Gut zu wissen: Wer keine exzellenten Englischkenntnisse vorweisen kann, soll weiterhin Einsicht in die Entscheidungen der Gerichte erhalten können. Alle Entscheidungen von LG, OLG und BGH sollen weiterhin übersetzt in deutscher Sprache veröffentlicht werden.

 Commercial Courts am Oberlandesgericht

An den Oberlandesgerichten sollen Kammern eingerichtet werden, die sich um eben jene englischsprachigen Verfahren kümmern.

Darüber hinaus soll es Spezialsenate mit spezialisierten Richtern geben (Commercial Courts), die ab einem bestimmten Streitwert (zum Beispiel 1 Million Euro) direkt angerufen werden können und so die erste Instanz bilden sollen.

Außerdem soll es ein Wortprotokoll geben, dass es bereits in vielen Schiedsverfahren gibt. So können die Parteien dem Protokoll bereits während der Verhandlung folgen und dies mitlesen. In diesem Zuge soll moderne technische Ausstattung zum Einsatz kommen.

Revision in englischer Sprache zum Bundesgerichtshof

Sofern das Verfahren vor dem Commercial Court in englischer Sprache durchgeführt wurde, kann auch eine Revision vor dem BGH in englischer Sprache stattfinden.

Problematisch ist hierbei, dass die Richter:innen des BGH dem zustimmen müssen. Liegt eine Zustimmung vor, kann die Verhandlung sodann vollständig auf Englisch geführt werden, auch die Schriftsätze und Entscheidungen sind dann in englischer Sprache zu verfassen.

Videoverhandlungen

Neben dem Eckpunkte-Plan existiert bereits ein Entwurfdes Ministeriums, der die Förderung von Videokonferenztechnik vor denZivilgerichten vorsieht. Dazu müssten jedoch die prozessualen Regelungenangepasst werden.

Nicht nur die Commercial Courts könnten dann aber davon profitieren, sondern auch alle anderen Zivilkammern der Landgerichte undOberlandesgerichte. In deutschen Gerichtssälen könnten damit Videoverhandlungen und Videobeweisaufnahmen bald zum Standard werden.

Verstärkter Schutz von Geschäftsgeheimnissen

Wie bereits erwähnt, sollen auch die Geschäftsgeheimnisse der Streitparteien in Zukunft besser geschützt werden. Die Regelungen des Geschäftsgeheimnisschutzgesetzes werden dafür auf den gesamten Zivilprozess ausgeweitet, um sensible Informationen noch besser zu schützen.

 

Mögliche Folgen:

 

·      Die Öffentlichkeit kann von Teilen des Verfahrens ausgeschlossen.

·      Bereits ab Klageerhebung sind alle Geheimnisse zu schützen.

·      Informationen außerhalb des Verfahrens sollen nicht mehr offengelegt oder verwendet werden dürfen.

Ausblick: Internationale Gerichtsverfahren in Deutschland

 

Im letzten Jahrzehnt ist ein großer Attraktivitätsverlust der bestehenden Handelskammern sichtbar geworden: Zwischen 2010 und 2020 ist die Zahl der gerichtlichen Handelsstreitigkeiten um circa 44 Prozent gesunken. Grund genug, um nun eine Reform einzuleiten und den Wirtschaftsstandort Deutschland für Unternehmer:innen attraktiver zu gestalten.

Ob dies mit den neuen Regelungen gelingen wird, bleibt erst einmal abzuwarten. Und doch zeigt es schon jetzt, dass Deutschland zumindest bereit ist, sich der Globalisierung und dem internationalen Handel anzupassen und den Weg für Commercial Courts freizumachen.

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